Hin und wieder gibt es Phasen, in denen ich einfach etwas leichtes lesen mag. Ich mag Alltagsgeschichten, die auch ein bisschen romantisch sein dürfen. Also habe ich nach kurzem Überlegen mit geschlossenen Augen das nächstbeste Buch gegriffen landete bei Amy Silvers Was bleibt, wenn du gehst.
Die Geschichte handelt um eine Zusammenkunft alter Freunde, die sich jahrelang nicht gesehen haben. Von Jen wurden sie mehr oder weniger wissentlich um die anderen in das Haus in Südfrankreich eingeladen, welches ihr ganz eigen privates Heim gewesen ist, bis sich ein Autounfall ereignete, der das Leben aller aus der Bahn warf. Die Auslöser, die damaligen Probleme, Geheimnisse und unausgesprochene Worte kommen wieder ans Tageslicht. Den Geistern der Vergangenheit muss sich gestellt werden.
Einschätzung
Es fiel mir schwer, mich mit der "Hauptperson" Jen anzufreunden. Sie wird als zentraler Angelpunkt gesetzt, welcher die Fäden des Romans hält. Dennoch sind ihre Verhaltensweisen und ihre Dialogführungen oftmals sehr theatralisiert und wirken nahezu perfekt, bis es zur Enthüllung ihres damaligen Fehltritts mit einem der Freunde kommt. Doch selbst dann wirkt sie im Gegensatz zu den anderen noch sehr "unschuldig".
Mit den fortschreitenden Kapiteln rücken jedoch auch die anderen ihrer Freunde in den Fokus und man erfährt nach und nach in einer angenehmen Geschwindigkeit näheres zu Andrew, Natalie, Lilah und Dan. Ihr verstorbener Freund Conor findet hingegen zwar immer wieder Erwähnung, doch erscheint diese - obwohl sein Tod so schwer für Jen und Andrew wiegt - recht oberflächlich.
Andrew selbst ist die Schuld in Person. Er macht sich zum Sündenbock und es mag unweigerlich verständlich sein, dass er der gefühlte "Grund" für den Unfall darstellt, doch kommt auch hier das eigentliche Problem - sein eigen verpatztes Leben - wenig zu Sprache.
Hingegen sind Natalies körperliche Schäden, die sie durch den Unfall davontrug, den gesamten Roman hinweg spürbar und zeichnen sich auch auf ihre Verhaltensweisen ab, auf ihre Reaktionen. In meinen Augen ist Natalie trotz ihrer teilweise Hysterie und ihrer Zickigkeit und Bestimmtheit eine der authentischsten Figuren, was die Darstellung betrifft... dass die Beziehungsprobleme allerdings von Silvers zwischen ihr und Andrew nur immer angedeutet werden, aber nie direkt zur Sprache kommen oder aufgedeckt werden, ist sehr schade. Es hätte der Geschichte mehr Tiefgang gegeben, hätte durchaus auch Andrews Schuldgefühle in einen rechten Fokus rücken können... Hingegen wirft Natalie ihm vor, dass er durch die Eintragung ins Strafregister nur ein Lehrer an einer lausigen Schule geworden ist, statt eines Anwalts und selbst das verletzt ihn nur unwesentlich für ein paar Seiten...
Wenn wir zu einer weiteren authentischen Person kommen, so ist dies Lila - eine Alkoholikerin (was auch noch durch ständiges Einschenken von selbigen durch die anderen begünstigt wird), ein Partygirl, immer Abgrund balancierend und magersüchtig... Ihr Verhalten ist kindisch, übertrieben, hemmungslos - passt aber zu ihrer Erscheinung von damals bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
Der Letzte im Bunde, Dan, ist der typische Draufgänger, der nie erwachsen werden kann - Jens Beschreibung des "verlorenen Jungen" passt sehr gut. Im Großen und Ganzen erinnert er aber stark an einen Daniel aus "Bridget Jones" oder an Dexter aus "One Day" ("Zwei an einem Tag") ... einzig und allein seine übertriebene Fantasie, die ihm selbst Angsterscheinungen in der Nacht bereitet (Axtmörder voraus), geben ihm etwas Abwechslung.
Was die Geschichte nicht weniger ausmacht, sind leider bereits genannte Theatraliken. Natürlich sind sie überängstlich, was Straßen und Autos betrifft bzw. Schneegestöber... aber dass die bis eben noch so ruhige Natalie auf einmal eine 180 Grad-Wendung macht und nun mehr komplett cholerisch wird... oder dass Jen das typisch schlechte "Geh nicht!" - "Komm mir nicht zu nahe!" Spiel innerhalb zwei Minuten oft genug aufkommen lässt und anhand von Blutstropfen auf der Treppe abergläubisch schlechte Omen drin liest, sind für mich Übertreibungen, die es nicht braucht. Selbst der Tod Lilahs (Nein, keine Überdosis, aber dennoch sehr klischeehaft) wird noch ausgereizt, nur dass das Happy End später im selben Zimmer stattfindet, dass bereits als Zuflucht, Betrugsort und Sterbestätte galt...
Kommen wir dann noch zu einem Punkt: Die Entschuldigungsfloskeln. Mit voranschreitender Seitenzahl wird sich immer und immer mehr entschuldigt. Für jedes Wort, wie es scheint. Die Charaktere erklären sich in Monologen, als würden sie ihre eigenen Therapiesitzungen veranstalten und der eine glaubt zu wissen, wie der andere tickt... Kurzum, geht es nach gewisser Zeit ziemlich auf den Keks immer und immer wieder dieselben Maschen lesen zu müssen.
Das heißt jedoch nicht, dass Amy Silver nicht schreiben kann. Sie kann... denn ansonsten hätte ich das Buch weggelegt. Man kommt flüssig und schnell durch die über vierhundert Seiten. Man möchte auch nicht aufhören, weil man wissen will, wie die Geschichte weitergeht - wie die Rückblenden ausgehen. Wäre jetzt nur noch der Tiefgang gegeben, dann wäre es eine wirklich gute Geschichte gewesen. So hingegen ist ein recht oberflächlicher Roman, der dann auch noch mit einigen Rechtschreibfehlern glänzt... Wobei ich nie vergessen werde, wie fruchtbar Jen aussah, obwohl sie eher furchtbar hätte aussehen müssen...
RoRoRo, 2014, 448 Seiten
Preis: 9,99€