Donnerstag, 19. Mai 2016

Rezension: Unterm Birnbaum

Jedem wird wohl noch der "Herr von Ribbeck von Ribbeck auf Havelland" ein Begriff sein, in dessen Garten ein Birnbaum stand.
Dass der Birnbaum selbst allerdings eine eigene Geschichte vorweist, die recht wenig mit dem schönen Gedicht Fontanes zu tun hat, dürfte dann eher wenigeren bekannt sein.




Kaufmann und Schankwirt Abel Hradscheck ist verschuldet und entdeckt eines Tages beim nächtlichen Umgraben seines Gartens die alte Leiche eines französischen Soldaten.
Dies gibt Hradscheck allerdings Anlass, den anrückenden Schuldeneintreiber zu ermorden und mit Hilfe des gefundenen Toten die Tat zu vertuschen.
Seine Frau kann dies Vergehen allerdings nicht verkraften und zerbricht an den Schuldgefühlen, obwohl Hradscheck tatsächlich den Verdacht von sich lenken kann und aus erster Gewahrsamkeit wieder freikommt.
Die in seinem Keller vergrabene Leiche will er eines Tages umbetten, kommt aber durch ein Missgeschick selbst zu Tode und wird am nächsten Tag gemeinsam mit dem Ermordeten von den Dorfbewohnern aufgefunden.

Fontane bringt in seiner Kriminalgeschichte die unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten und damit auch beschreibende Charaktere hervor:


  • Der unglücksame aber auch schlechte Geschäftsmann Hradscheck, welcher auf der einen Seite Angst vor Nachrede hat, zweitklassige Waren anzubieten und den Speck so lieber des Nachts in seinen Garten vergräbt, aber auf der anderen Seite sogar einen Mord begehen kann.
  • Seine tüchtige, aber doch nicht dem Reichtum und des Geldes abgeneigte Frau Ursel, welche ein labiles Nervengeflecht besitzt und daran zugrunde geht - wobei sie lieber alles wäre, nur nicht arm.
  • Der fromme Pfarrer Eccelius, welcher die Beichten von Hradschecks Frau aufnimmt und ihr ein guter Berater und Freund wird und das Gewissen des Dorfes verkörpert.
  • Der Junge Ede, der "Narr" in der Geschichte
  • Die alte Jeschke, das Tratschweib, welches aber gleichzeitig eine der Hauptärgernisse für Hradscheck bedeutet, weil sie ihre Augen überall zu haben scheint
  • ...

Fontane gibt dem Dorf außerdem ein Leben durch gesellschaftliches Treiben im Wirtshaus, heiteren Plaudereien und Aberglaube - Dinge, die sich selbst entfalten, mehr Macht gewinnen und so die Dorfbewohner nicht nur zu dem voreiligen Schluss kommen lassen, dass Hradscheck den toten Soldaten im Garten ermordete - was faktisch nicht stimmen konnte - sondern ihnen auch noch aufzeigen, dass sie damit die Ehre eines Mannes ihresgleichen beschmutzt hatten und solch ein falsches Urteil zu entscheidenden Konsequenzen führen kann.
Dass sie mit ihrer anfänglichen Vermutung in anderer Hinsicht richtig gelegen hätten, ist dann jedoch eine andere Geschichte.

Wie man es von Hamburger Leseheften kennt, erwarten einem zum Schluss nicht nur nützliche Informationen hinsichtlich Begrifflichkeiten im Werk selbst (allerdings keine sprachlichen, bezogen aufs Plattdeutsche!), sondern auch ein kurzer Lebensabriss Fontanes und eine ausführlichere Erläuterung zur Einordnung des Birnbaums in die Zeitlinie seiner Werke.

Das Plattdeutsche ist in den meisten Fällen gut zu verstehen - Geheimnis dahinter, wie es meist mit Dialekten ist: nicht lange darüber nachdenken, sondern lesen und vor sich hinsprechen.


Einschätzung

Zunächst: natürlich schadet es nicht, wenn man sich ein Langenscheid Lilliput Plattdeutsch Wörterbuch anschafft, aber man wird auch ohne in den meisten Fällen zurechtkommen.
Gerade bei Charakteren wie die alte Jeschke ist aber jener Dialekt lebensfördernd.

Fontanes Werk lässt sich zweimal lesen - Erst dann fallen einem kleine Einzelheiten auf, die man zunächst übersah und welche bereits Hinweise auf spätere Vorkommen geben. Sei es die Wichtigkeit des Birnbaums in seiner Bedeutung oder jene Wichtigkeit der Ölfässer.
Wie man es schon aus seinen Balladen her kennt, ist die Sprache das I-Tüpfelchen der Geschichte.
Besonders, wenn es um die naturellen Beschreibungen geht, zeigt sich Fontanes Talent, wundert dies aber nicht, wenn man an seine vierbändige Wanderungen durch die Mark Brandenburg denkt.

Unterm Birnbaum ist ein kurzes Lesevergnügen, das man aber nicht unterschätzen sollte.
Mit den Charakteren kann man sich zwar nicht unbedingt identifizieren, dafür erlebt man aber als Zuschauer ein tolles Zusammenspiel der unterschiedlichsten Personen und wie sie entsprechend miteinander zu agieren verstehen.
Gerade das sehr ironische Ende Hradschecks ist ein Ausgang, den ich so nicht erwartet hätte.
Wer hinzukommend Wert auf gut gewählte Worte legt, ist bei Fontane mehr als gut aufgehoben.



Unterm Birnbaum
Theodor Fontane
Hamburger Lesehefte, 85 Seiten
ISBN-10: 3872911538
ISBN-13: 978-3872911537
Preis: 1,60€

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